KOSTAS MURKUDIS IM MMK
Es wundert mich, dass es nicht mehr dieser Ausstellungen gibt. Denn Kunst und Mode stehen sich oft sehr nahe – sei es in den Inspirationsquellen, den kreativen Prozessen oder ihrem Inszenierungscharakter.
Über Mode und Kunst
Mode bedient sich der Kunst mit großer Selbstverständlichkeit; zitiert sie in einzelnen Mustern, Farbwelten, Stimmungen oder ganzen Kollektionsstilen. Ich erinnere mich z. B. an die Präsentation der Dolce & Gabbana Herbst-Winter-Kollektion 2015/16. Mit ihren Kopfhörer-Kronen liefen die Models über den Catwalk als kämen sie direkt aus einem italienischen Renaissance-Gemälde. Anmutig stehen die reichlich geschmückten Designstücke mit Drucken von Madonnen-Ikonen neben Kleidern mit einfachen Kinderzeichnungen (sog. Scribbels). Sie beziehen sich auf die Naive Kunst, die durch eine unbekümmerte Motivwahl und vereinfachte Darstellung gekennzeichnet ist. Die besondere Stärke der Kollektion, bei der es um die Verehrung der Mutterrolle geht, ist es diese unterschiedlichen Kunststile zu vereinen.
Murkudis im Museum
Wenn Mode Kunst auf den Laufsteg verhilft, warum nicht auch ausgewählte Mode ins Museum holen? Vielleicht liegt es an der Angst Mode wäre zu bedeutungslos, zu vergänglich und zu kommerziell, nicht einzigartig genug oder ihr fehle schlicht die Aura? Aber ist dem wirklich so? Fest steht, Mode verfolgt in der Regel andere Ziele als Kunst. Fest steht aber auch, Mode experimentiert mit verschiedenen visuellen Inspirationen und kulturellen Einflüssen, die sie zu immer neuen Kreationen zusammenfügt.
“Die Kunst hat mich mein Leben lang begleitet,
sie ist Teil meines Lebens, Teil meiner Neugier.”
Kostas Murkudis
Für den international bekannten Modedesigner Kostas Murkudis, der für namhafte Haute Couture Labels wie Helmut Lang und Balenciaga arbeitete, war Kunst von Beginn an Dreh- und Angelpunkt seines Schaffens. Dabei bricht der Designer mit gängigen Strukturen der Fashionbranche. So präsentiert er seine Mode mittlerweile lieber in Galerieräumen als auf dem Laufsteg und produziert unverkäufliche Unikate. Die Ausstellung Tuchfühlung. Kostas Murkudis und die Sammlung des MMK zeigt wie sich die Inspirationswelt des Designers Stück für Stück aus Bildcollagen und Materialstudien entwickelt und wie stark sie an aktuelle künstlerische Vorgehensweisen und Prozesse der Formfindung angelehnt ist.
Präsentation und Kollektion
Man kann nicht nur in Murkudis Gedanken, sondern auch in seine Kollektionen eintauchen; die Stücke von allen Seiten betrachten; zwischen ihnen wandeln.
Vor dem hellen Schein einer Lichtwand schweben die Kleider der Summer/Spring Kollektionen 2009-2013. Den Designer interessiert das sinnliche Erleben von Materialität, dabei versteht er den Körper als eine Art Architektur und die Haut als Leinwand. Deshalb arbeitet er häufig mit durchsichtigen oder hautfarbenen Stoffen, die in der Ausstellungsbroschüre als “leichte, durchlässige und flexible Membranen” beschrieben werden. Ergänzt werden die hauchfeinen Stoffe durch feste, bearbeitete Materialien, die z. B. mit Latex beschichtet und mit Puder mattiert, von japanischen Bondage-Elementen inspiriert sind. Durch die spezielle Hängung kann das Spiel zwischen transparenter Stoff-Hülle und zugleich geformten, wie formenden Körpern gut erahnt werden. Die Präsentation selbst erscheint bereits skulptural und künstlerisch.
Körper und Ausdruck
Bei Murkudis werden auch schroffe Stoffe in dynamische Formen gebracht. Der Dialog mit den energetisch aufgeladenen Momentaufnahmen Longos greift diese Mischung aus eleganter Kleidung und ausdrucksstarker Bewegung auf.
Moodboards als Ideenwelten
Die Moodboards zeigen die vielschichtige Herangehensweise Murkudis an eine neue Kollektion. Der Modedesigner ist von außergewöhnlichen Objekten fasziniert, sammelt und entwirft diese zum Teil selbst.
“Am Anfang ist immer das Material. Die erste Information,
die ich empfange, wenn ich den Stoff berühre.”
Kostas Murkudis
In seiner Form ist die sonnendurchflutete Palmen-Fotografie zwar mit dem schwarzen Objekt, das wie ein Palmwedel aussieht, vergleichbar. Durch das hinzugefügte Halsband und seine schwarz glänzende Materialität erinnert es aber eher an eine Peitsche aus dem Domina-Milieu. Auch in dem Aufschlitzen von Stoffen nähert sich Murkudis der aufgefächerten Struktur eines Palmblattes an.
20.164 besteht aus 142 Kleidern
Hier kommt die ultimative Kleiderlösung –> 142 Ober- und Unterkleider ergeben 20.164 mögliche Farbkombinationen. So dürfte sich das Problem ‘Nichts anzuziehen zu haben’ wohl für längere Zeit erledigt haben. Außer man bevorzugt natürlich Hosen. ;-)
Mit einem einzelnen Seidenkleid mit Unterkleid in zurückhaltendem, blassem Rosé hat 2006 alles angefangen. Eine Saison später wurde das Modell in 142-facher Ausführung und dem ganzen Farb-Spektrum der beauftragten Manufaktur produziert. Ich stelle mir eine elegante Gartenparty vor, bei der jeder Gast eines dieser 142 Kleider trägt. Zum Abschluss wird ein aufgereihtes Gruppenfoto geschossen. Durch den immer gleichen Schnitt und die unterschiedlichen Farbnuancen kämen auf diesem Bild genau die Aspekte des Projekts zum Tragen, die der Begleittext zur Ausstellung beschreibt:
“Uniformität und Serialität vereinen sich mit Individualität und endloser Vielfalt.”
In Dialog mit 20.164 steht das Kunstwerk First Coming (1961) von Morris Louis, das ich an dieser Stelle aus bildrechtlichen Gründen leider nicht zeigen kann. Louis, ein wichtiger Vertreter der amerikanischen Farbfeldmalerei, gießt die leuchtenden Farben auf die Leinwand (sog. staining), so dass einzelne Farb-Streifen herabströmen. Die formale Nähe zwischen Kunstwerk und dem Projekt Murkudis ist offensichtlich; bestehen doch beide aus einer kompakten und direkten Aneinanderreihung von Farben. Durch die Gießtechnik überlagern sich bei First Coming einzelne Farben in den Grenzbereichen und erzeugen so den Eindruck von Bildtiefe.
“Mode ist Stoff, in den Träume eingewebt sind“
Tillmann Prüfer, Eröffnungs-Keynote Berliner Fashionweek (01/2016)
Die Präsentation der 142 Kleider erfolgt in einem kleinen Seitenraum, der wie ein Laufsteg aufgemacht ist. Vorne und hinten ist er von zwei großen Spiegelflächen eingefasst. Der Spiegel auf der Kleiderseite streckt den Körper, macht ihn unglaublich groß und dünn. Ich bin etwas erschrocken über das für mein Empfinden fast schon strichartige Abbild. Auf der anderen Seite zeigt der zweite Spiegel ein ‘reales’ Abbild der eigenen Person und stellt die Fashionshow-Maßstäbe so der Alltagsrealität ‘normaler’ Körpermaße gegenüber. Ich finde die Präsentationsart des Laufstegs sehr gelungen. Durch die Kleiderreihung und den Farbverlauf scheint er einen fast ein bisschen in die Tiefe hineinzuziehen. Spannend ist auch, das durch den Spiegel vermittelte Gefühl für einen kurzen Moment Teil dieser Welt zu sein. Wenn man den flurartigen Raum nun auch noch durchlaufen könnte, (die Kleider-Installation ist durch ein Seil vor dem Eintreten geschützt), wäre die Illusion perfekt. Auch wenn einen der zweite Spiegel schnell wieder auf den Boden der Tatsachen zurückholt. ;-)
Abschließende Gedanken
Was ich mich vor und nach Besuch der Ausstellung frage, ist, ob Mode auch Kunst inspirieren kann. Mir kommen sofort einige Bilder von Pop Art Werken, Ready Mades und künstlerischen Inszenierungen in den Kopf, die durch unsere Konsumkultur beeinflusst sind. Aber so richtig abgeschlossen habe ich mit dieser Frage noch nicht, denn eine spezifisch mode-geprägte Kunst fällt mir spontan nicht ein. Was meint ihr dazu, gibt es eine Einbahnstraße von Mode zu Kunst?
Eine andere Sache, die mich beschäftigt: Warum so könnte man sich fragen, gibt es überhaupt noch Fashion-Shows? Neben all dem Marketing, zeigt die Show Einblick in die Inspirationswelt des Designers, schafft einen Rahmen für die Kleidungsstücke der Haute Couture, der sie entscheidend von Massenware abhebt. Die Modenschau, kann ein Gesellschaftskommentar, aber auch glamouröse, mysteriöse oder elfenhafte Fantasiewelt sein. Das Museum kann einen neuen Rahmen bieten, die Mode so aus einem anderen Blickwinkel heraus beleuchten und erfahrbar machen.
Es wundert mich nicht, dass Murkudis seinen Weg ins MMK gefunden hat.
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